Valeska Peschke hat sich intensiv mit Vulkanforschung beschäftigt. Der Vulkan steht als Sinnbild für die Utopie Europas; Der Krater als Mund, der von den inneren globalen Zusammenhängen und Kontinenten spricht, vom ausgestülpten geschmolzenen Erdinneren ausgehend. Aus dem Erdinneren entsteht eine glühende, erschütternde Eruption mit Kristall klingendem und fruchtbringendem Ascheregen. Der Vulkan ist männlich und weiblich zugleich. Als skulpturaler Prozess schichten sich die unterschiedlichen Bestandteile eines Vulkans letztlich zu einem sichtbaren Zeichen, das für Zerstörung, Kraft (männlich) und Formbarkeit, Fruchtbarkeit (weiblich) zugleich steht. Dieser lebendige, kreislaufartige Prozess mündet in eine Erneuerung, die aus sich selbst erwachsen ist. Der Moment dieses Ausbruchs ist der Moment des Instant. Es ist der Zwischenraum, das Jetzt, zwischen Ursache und der darauffolgenden Transformation. Dieser Zwischenraum oder der Moment des Ausbruchs des Vulkans ist gedanklich beeinflussbar, formbar, ein Raum, in dem etwas geschehen kann. Der Vulkan ist für Valeska Peschke ein sichtbares skulpturales Zeichen, ein Sinnbild für Aufbruch und Umwandlung.
Europa muss als Vulkan angesehen werden, als Wechselwirkung zwischen verschiedenen Kontinentalplatten und den darüberliegenden Kulturen. Chaos, Ungewissheit, ein gewisses Niveau der Härte, des Schmutzes und Rauheit ist wesentlicher Bestandteil für Kunst und Kreativität. (z.B. Detroit, Kunst im Untergrund) Geschichtlich können wir dieses Bild auch in der Jahrhundertwende vom 19. ins 20. Jahrhundert (Gründerzeit vs. Start-ups) einordnen, als voller Energie unendlich viele Gebäude „aus der Erde schossen“, die Kunst bahnbrechende Wege einschlug und die Literatur die Ambivalenz zwischen der Euphorie der blühenden Wirtschaft und der Unsicherheit der Menschen (Stechlin), als sich in der gewohntem Umgebung plötzlich alles änderte. Darüber hinaus ist auch der Mauerfall 1989 nach dem Ende des kalten Krieges ein Moment der Eruption, als sich für tausende von Menschen ein Raum erschloss, der voller Möglichkeiten schien. Es war nicht nur eine Wiedervereinigung, sondern eröffnete ein grundlegendes Umdenken und Neudenken. So wie auch der Vulkan immer wieder aufgrund seines Ausbruchs eruptieren kann, so müssen wir als Gesellschaft auch erkennen, dass wir nicht in der Transformation nach dem Ausbruch stehen bleiben dürfen. Der fruchtbare Ascheregen muss auch Früchte tragen können, wir dürfen als Landschaft gedanklich nicht zu Stein erstarren.
Als Künstlerin beschäftigt sich Valeska Peschke schon seit mehreren Jahren mit Vulkanen als kreative Darstellung gesellschaftlichen Geschehens. Dieses langjährige globale Kunstprojekt wurde in den vergangenen Jahren durch großräumige Installationen wie „Aschewolke“, „First World Catastrophy Camp“ und „Vulkane in Berlin“ umgesetzt. Als „Vulkanforscherin“ führte sie Reisegruppen durch Städte und setzte sichtbare Zeichen im Stadtraum.
Valeska Peschke, Aschewolke, Wandmalerei, 710 x 320 cm, Acryl, Galerie Axel Obiger, Berlin, 2015
Mein Raum ist die Idee, den durchgehe ich wie bei einer Reise. Durch diesen Raum beginnt eine Reise der gedanklichen Freiheit, wobei sich Reisender und Utopie, Ort und Nicht-Ort ständig ändern können. Diesen Prozess habe ich Vulkanarbeit genannt. Ohne Vulkane kein Leben.
Schließlich möchte Peschke darauf aufmerksam machen, dass es keine Krisen und mit ihnen einhergehende Bedrohungen gibt (Finanzkrise, Flüchtlingskrise), sondern ganzheitliche Veränderungen die Bewegung gerade zulassen. Als Menschen fühlen wir uns bedroht, wenn unsere gewohnte und geschützte Umgebung, in der wir uns auskennen und uns sicher fühlen, bedroht ist. Es geht jedoch nicht darum, zu einem „Normalzustand“ zurückzukehren oder diese Bedrohung schlicht zu beseitigen. Vielmehr geht es darum die Bedrohung umzuwandeln zu neuen, kreativen Ideen, zu einem fruchtbaren Boden, aus dem wieder Neues entstehen kann. Diese Idee kann verglichen werden mit dem von C. G. Jung und Campbell entwickelten Archetyps des Helden, der in eine neue Welt aufbricht, um seine Heimat o.ä. zu retten. Auf dem Weg begegnen ihm immer wieder Herausforderungen, die er zu meistern hat um schließlich zum progressiven Moment der Erkenntnis zu gelangen, womit er eine Transformation, eine Umwandlung oder Umgestaltung des Bisherigen erreicht.
Europa und ihre Grenzen:
Diese von Preußen und den Niederlanden neutral gelassene Fläche zeichnet sich ausschließlich durch fast willkürlich gezogene Grenzen ab. Meine Heimat, das sind die Grenzen steht auf einer Tafel des Punktes, an dem sich die drei Länder Belgien, die Niederlande und Deutschland treffen. Doch was bedeutet Grenzen und wie entstehen Grenzen überhaupt? Grenzen grenzen nicht nur ein, sie grenzen auch aus. Sie schaffen sichtbare Unterschiede, sie schaffen sowohl eine Inklusion als auch eine Exklusion und all das, was außerhalb liegt, ist opak, sprich fremd, anders und vielleicht sogar feindlich. Grenzen sind aber nicht von Natur aus fremd, sie sind sogar vielmehr Voraussetzung jeder menschlichen Erkenntnis, denn nur dadurch, indem sich Bereiche voneinander abgrenzen oder unterscheiden, formen sie sich auch gleichzeitig und nehmen Gestalt und Bedeutung an. Jedoch kann es auch falsche Unterscheidung geben; das Problem liegt nicht so sehr bei den Grenzen an sich, sondern vielmehr daran, wie genau diese Grenzen aussehen. Wurden sie willkürlich oder sinnvoll und notwendig gezogen? Genau gegen diese willkürlich gezogenen Grenzen möchte jedoch Peschke arbeiten. Sie möchte Grenzen aufbrechen und die Bedeutung der natürlichen Regionen, die organisch aus der anthropologischen Geschichte gewachsen sind, hervorheben. Das Wort Definition leitet sich von dem lateinischen finis ab, also Grenze. Die Definition von etwas kann also nur durch dessen Abgrenzung zu anderem entstehen. Das bedeutet jedoch nicht notwendigerweise, das Grenzen unbeweglich und statisch sind. Wir müssen umdenken von festgesetzten Grenzen hin zu einer Neudefinition unserer eigenen Identität, individuell als aus gesellschaftlich. Dies muss als neue Weise der Grenzziehung, der Definition, geschehen, die sich im stetigen Wandel befindet, in einem ständigen Aufbrechen und Neuformen.
Peschke vertritt die Idee einer Neutralisierung, einer grauen Fläche die die Möglichkeit des Freimachens eröffnet. Amikejo ist keine weiße Fläche, in welcher nichts da ist, sondern muss gerade als grau vorgestellt werden, in der schon etwas vorhanden ist, aber dennoch ohne Richtung, nicht schwarz und nicht weiß. Weder zeitlich noch räumlich ist Amikejo festgelegt. Der Begriff Neutralität kommt aus dem lateinischen neutrum und
bedeutet wortwörtlich „keines von beiden“, wobei es unter anderem auch „ausgewogen“ bedeutet. Die Republik Europa, welche Peschke als auch Ulrike Guerot als Leitidee verfolgen, sollte also wie das Beispiel von „Amikejo“/ „Kelmis“/ „Neutral-Moresnet“ ausgewogen sein, im Sinne der Macht, des Geldes und daraus folgend dem Wohlstand der Menschen als auch ihrer unterschiedlichen Kulturen. Neutralität schließt Vielfalt nicht aus, sondern lässt sie gleichwertig nebeneinander existieren.
Literaturverweise:
1 Nina Trobisch, Karin Denisow, Ingrid Scherübl, Dieter Kraft in: Thomas Schildhauer, Nina Trobisch, Carsten Busch (Hg.): "Heldenprinzip. Kompass für Innovation und Wandel". Berlin: Universität der Künste Berlin 2012.
2 C. G. Jung : Der Mensch und seine Symbole. Olten, Freiburg im Breisgau: Walter-Verlag 1979.
3 Konrad Paul Liessmann: Lob des Grenze. Kritik der politischen Unterscheidungskraft. Wien: Zsolnay Verlag 2012.
4Alfred North Whitehead: Prozeß und Realität. Entwurf einer Kosmologie. Übers. v. Hans Günter Holl. Frankfurt am Main: Suhrkamp Verlag 1987.
Valeska Peschke, Neutralstraße, in "Die Botschaft von Amikejo", Digital Collage, 2015
Der Grenzstein aus "Wolkenzink" and Zinkblende wird aufgeladen und abtransportiert
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